1 - Selbstbestimmung des Patienten am Lebensende aus juristischer und ethischer Sicht [ID:5394]
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Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.

Professor Christian Jäger ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Medizin,

und künftig auch als Kind in der Universität Erlangen-Nürnberg.

Die Universität Erlangen-Nürnberg ist eine der größten und größte Universitäts- und Wettbewerbskommissionen

der Universität in der Welt. Sie ist der erste Universitätskommission,

Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Medizinstrafrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg.

In seiner Lehr- und Forschungstätigkeit beschäftigt er sich auch mit der Autonomie des Einzelnen im Endstadium seines Lebens.

Meine Damen und Herren, ich darf Sie auch ganz herzlich begrüßen zu meinem Vortrag

Selbstbestimmung des Patienten am Lebensende aus juristischer und ethischer Sicht.

Ich hätte selbst nicht gedacht, dass mein Vortrag angesichts des Suizids des ehemaligen MDR Intendanten Udo Reiter eine solche Aktualität erlangen würde.

Deshalb werde ich am Schluss meines Vortrags insbesondere auch über die Frage sprechen,

ob es eine ärztliche Aufgabe sein kann, einen Suizid zu begleiten und ob es richtiger wäre, Freitotorganisationen in Deutschland zu unterbinden.

Ich komme zunächst zu den vier Prinzipien, die bereits im Jahre 1977 von Bonchamps und Childress in ihrem Buch Principles of Biomedical Ethics formuliert wurden.

Es handelt sich um die klassischen Prinzipien der Medizinethik, nämlich Respekt vor der Autonomie des Patienten,

Nichtschaden, Non-Molefitions, Fürsorge und Hilfeleistung, Beneficience und Gleichheit und Gerechtigkeit, Justice.

Auffällig ist, dass Bonchamps und Childress an die Spitze dieser vier ethischen Prinzipien die Autonomie gestellt haben.

Jedoch wird man bezweifeln können, dass diese vier Aspekte, die von Bonchamps und Childress formuliert wurden, in einem statischen Verhältnis zueinander stehen.

Sie sind nicht in einem Verhältnis der Gleichberechtigung zu sehen, sondern möglicherweise bei Lichter betrachtet in einem dynamischen Verhältnis, in einem dynamischen Prozess.

Je nach Lebens- bzw. Sterbephase kann ein Aspekt im Vordergrund stehen und der andere in den Hintergrund rücken.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Verlangt etwa ein Patient, der vollständig gesunden könnte nach einer Nichtbehandlung.

Man denke etwa an einen Zeugen Jehovas, der eine lebensnotwendige Bluttransfusion verweigert, diese Fälle kennen wir.

So treten die Prinzipien, die hier genannt sind, also die Prinzipien der Autonomie, des Nichtschadens, der Fürsorge und Hilfeleistung, der Gleichheit und Gerechtigkeit eindeutig in einen Konflikt miteinander.

Man kann in einem solchen Fall sagen, dass der Autonomie verholfen wird, wenn wir einen solchen Wunsch beachten und etwa Apparate ausschalten.

Aber man ist in einem solchen Fall nicht geneigt zu sagen, dass man dem Prinzip des Nichtschadens Rechnung getragen hat.

Es sei denn, man würde dieses Prinzip des Nichtschadens wieder mit der Autonomie auffüllen und den Willen des Patienten in den Vordergrund stellen, aber dann steht wieder das Prinzip der Autonomie am stärksten in der Frontstellung.

Je mehr sich dagegen das Leben dem Ende zuneigt, desto eher ist man bereit, die Prinzipien der Autonomie, des Nichtschadens, des Wohltuns und der Gerechtigkeit als gleichrangig zu empfinden.

Verlangt zum Beispiel ein Mensch in der Endphase seines Lebens die Beendigung intensiv medizinischer Maßnahmen, so wird man dies nicht nur als autonome Entscheidung dieses Menschen begreifen können,

sondern gegebenenfalls auch als ein Nichtschaden und als ein Wohltun, da in einem solchen Fall die Beendigung von Maßnahmen unter Umständen der letzte Dienst am Leben ist.

Nichtschaden und Wohltun decken sich dann mit der Autonomie des Patienten und werden als gerechte Entscheidung empfunden.

In der rechtswissenschaftlichen Diskussion wird diese Dynamik des Sterbeprozesses viel zu wenig berücksichtigt und der mögliche Konflikt der einzelnen Prinzipien auch kaum wahrgenommen.

Vielmehr ist die juristische Diskussion im Medizinstrafrecht heute in erster Linie nur vom Grundgedanken der Autonomie beherrscht.

Hierzu möchte ich Ihnen eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, des BGH, bringen, der bereits im Jahr 1989 ausdrücklich gesagt hat, im Vordergrund stehen Schutz der Entscheidungsfreiheit des Patienten.

Diese Entscheidungsfreiheit ist unantastbar. Als zweites die Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff, die einerseits Verzicht und andererseits Aufsicht nehmen bedeutet.

Verzicht insofern, als man auf den absoluten Schutz des Körpers vor Verletzungen verzichtet und Aufsicht nehmen insofern, als man Gefahren aus Nebenwirkungen und Komplikationen zulässt.

Und schließlich maßgeblich ist die Sicht des Patienten. Es kommt immer auf die Sicht des Patienten an.

In einer anderen Entscheidung hat der BGH noch deutlicher formuliert, ich zitiere, niemand darf sich zum Richter in der Frage aufwerfen, unter welchen Umständen ein anderer vernünftigerweise bereit sein sollte, seine körperliche Unversehrtheit zu opfern, um dadurch wieder gesund zu werden.

Diese Richtlinie ist auch für den Arzt verbindlich. Es wäre ein rechtswidriger Eingriff in die Freiheit und Würde der menschlichen Persönlichkeit, wenn ein Arzt, und sei es auch aus medizinisch berechtigten Gründen, eigenmächtig und selbsterlig eine folgenschwere Operation bei einem Kranken ohne dessen Billigung vornehme.

Denn ein selbst lebensgefährlich Kranker kann triftige und sowohl menschlich wie sittlich achtenwerte Gründe haben, eine Operation abzulehnen, auch wenn er durch sie und nur durch sie von seinem Leiden befreit werden könnte.

Zitat Ende.

Ich komme damit zu Gefährdungen des Selbstbestimmungsrechts. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist zweierlei Gefährdungen ausgesetzt, nämlich zum einen bei Entscheidungen, die auf eine bedingungslose Verlängerung des Lebens gerichtet sind.

Die hauptsächliche Gefahr für eine Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten besteht hier in der zunehmenden Ökonomisierung des Arzt-Patienten-Verhältnisses.

Der Arzt könnte geneigt sein, ressourcenraubende Behandlungsmaßnahmen zu beenden, um auf diese Weise dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht entgegenzukommen.

In einem solchen Fall tritt die Beendigung von Behandlungsmaßnahmen mit der den Personstatus respektierenden Erhöhung der Lebensqualität im Endstadium des menschlichen Daseins.

anderes kann nur dann gelten, wenn der Einsatz der Medizin zu einer spürbaren Besserung des Krankheitszustandes führen kann.

Der Arzt hat hier die Möglichkeit, dem Patienten bewusst zu machen, dass eine Einstellung belastender Behandlung und der Übergang zur Palliativmedizin nicht, wie es vor allem die Angehörigen vielfach meinen, als Tötungshandlung zu begreifen ist, sondern möglicherweise, wie ich es gerade gesagt habe, als letzter Dienst am Leben.

Dies entspricht im Übrigen auch der Rechtsprechung des BGH, der von einer Wirksamkeit der Aufklärung über weitere Behandlungsmöglichkeiten grundsätzlich nur dann ausgeht, wenn der Patient über die Aussichtslosigkeit seiner Situation und über die Auswirkungen einer Behandlung auf die Lebensqualität im Endstadium aufgeklärt ist.

Wenn wir also eine Situation vorfinden, in der die Entscheidung des Patienten auf eine bedingungslose Verlängerung gerichtet ist, dann kann es notwendig sein, dass der Arzt den Patienten aufklärt über die Tatsache, dass diese Verlängerung für ihn auch eine Belastung bedeuten kann,

wenn hier alle Maßnahmen ausgereizt werden, die die Medizin dem Arzt in die Hände gibt.

Umgekehrt ist es bei Entscheidungen, die auf einen Behandlungsabbruch gerichtet sind.

Und dies sind die viel wichtigeren Entscheidungen des Patienten.

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:44:59 Min

Aufnahmedatum

2014-10-22

Hochgeladen am

2015-10-01 10:13:15

Sprache

de-DE

Der Vortrag befasst sich mit Fragen der Autonomie des Einzelnen im Endstadium seines Lebens, die gerade vor dem Hintergrund des Suizids des ehemaligen MDR Intendanten Udo Reiter erneut in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses gerückt sind. Deutlich wird dabei, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten einer doppelten Bedrohung ausgesetzt ist: Zum einen kann der Wunsch des Patienten nach bedingungsloser Verlängerung des Lebens gespeist sein aus einer mangelnden ärztlichen Aufklärung über die infauste Prognose und über die mit einer Fortsetzung der Behandlung verbundenen Beeinträchtigungen der Lebensqualität. Zum anderen kann bei Entscheidungen, die auf Behandlungsabbruch gerichtet sind, der Wunsch nach Ausreizung des medizinisch Machbaren zu einer Vernachlässigung des Patientenwillens führen. Im Mittelpunkt muss daher stets derjenige Wille des Patienten stehen, der sich bewusst auf der Grundlage vollständiger Information gebildet hat. Gesetzgeberische Bemühungen, die auf ein Verbot von privaten Sterbehilfeorganisationen gerichtet sind, können dabei nicht als von vornherein unzulässig verworfen werden, gerade weil Beweisschwierigkeiten bei gewinnorientierter Organisation der Suizidbeihilfe in vielfältiger Weise auftreten können. Allerdings spricht sich der Referent vorsichtig für eine Zulassung der ärztlichen Suizidbeihilfe nach dem Vorbild des im Jahre 1997 in Oregon in Kraft getretenen Death with Dignity Act aus.

Tags

Sterbehilfe Selbstbestimmung Lebensende Medizinethik Patientenautonomie Entscheidungsfreiheit Selbstbestimmungsrecht Lebensqualität Patientenwille Odysseus-Anweisungen Patientenverfügung Suizid Suizidbeihilfe
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